Ich hebe eine spitz gezackte Gabel und stoße sie in ein prächtiges Gemälde. Das Material zeigt kurz Wiederstand, gibt dann aber nach. Es blättert zu allen Seiten auf, zerplatzt und zerfließt.
Ab und an, wenn ich in einem Restaurant vor einem Teller sitze, dann tut es mir in der Seele weh, das vor mir liegende Kunstwerk zu zerstören. Gleichzeitig stelle ich mir die Frage, ob ich hier eigentlich etwas kaputt mache oder ob ich erst anfange es zu betrachten. Mit meiner Zunge und allen Geschmacksknospen in meinem Mund.
Kunsthalle Erfurt Fischmarkt
Die Kunsthalle Erfurt befindet sich im wunderhübsch renovierten Haus zum roten Ochsen am Fischmarkt.

Heute fällt dieser zweite Teil der Erfahrung aus. Heute steht Augenschmaus auf der Speisekarte: Wir besuchen die Ausstellung „Food for your Eyes – Internationale Food-Fotografie heute“, die vom 19.1. bis zum 31.3.2019 in der Kunsthalle Erfurt zu sehen ist.
Hervorgegangen aus der der internationalen Biennale „Food Photo Festival 2017“ in Vejle, Süd-Dänemark entstand diese Ausstellung, die von Günter Beer kuratiert wurde. Es sind Werke von 18 Fotografen zu sehen, die ein breites Spektrum des Umgangs mit diesem speziellen Motiv abdecken.

Kunsthalle

Manchmal üppig, manchmal minimalistisch. Food-Fotografie hat viele Facetten. Foto: Julia Rühr

Wer bei Food-Fotografie nur an schnell geschossene Instagram-Bilder denkt, der kann hier seinen Horizont erweitern. Die Bilder sind so unterschiedlich wie ein Cupcake und rosa gebratenes Lammkarree. Manche sind im Stil einer Reportage geschossen, andere sehen aus wie klassische Kochbuch-Fotografien, noch andere sind kunstvolle Arrangements von Farben und Texturen oder zeigen Referenzen zu Surrealismus oder Pop-Art.
Beim Betrachten der Fotografien, die ja eigentlich trotzdem nichts anderes zeigen, als ein sehr hochwertiger Instagram-Feed, fangen wir an zu diskutieren. Gibt es eine männliche Food-Ästhetik, wie es uns eine der Beschriftungen nahelegen möchte? Spricht ein saftiges Stück Rind wirklich mehr Männer an, wenn es auf einem dunklen Hintergrund liegt und als Deko ausschließlich lodernde Feuer, Pfefferkörner und gusseiserne Pfannen und nicht etwa knackiges Gemüse oder Leinenservietten verwendet werden?
Fotoausstellung Erfurt

Fleisch und Fell – was möchte der Künstler uns damit sagen? Foto: Julia Rühr

Wird ein Gericht hochwertiger, wenn der drapierte Teller dem typischen Look eines Sterne-Restaurants entspricht? Rechtfertigt der Look vielleicht sogar einen höheren Preis? Ist in einem solchen Restaurant der Geschmack entscheidend, der Koch oder das Aussehen?

Und wie sieht es eigentlich mit dem Fotografieren aus? Schauen wir uns hier nur gestylte Lebensmittel an, die gar nicht mehr essbar sind, weil sie dick mit Haarspray überzogen sind oder gar mit Farbe bemalt? Wo liegt der Unterschied, wenn ich ein Gericht in einem Fotostudio fotografiere, in dem es nach dem Shooting in die Tonne wandert oder voller Vorfreude in einem Restaurant?

Food-Fotografie Ausstellung
Eine Sache, die man in der Ausstellung lernt: Rote Bete ist ein sehr fotogenes Gemüse.

Ja, es ist eine Gruppe mit drei Kulturwissenschaftlerinnen, die diese Ausstellung besucht, die bei Walter Benjamin landen und dabei, wie es sich eigentlich mit der Aura des Lebensmittel-Kunstwerks verhält, wenn dieses fotografiert wird. Besteht diese nicht auch aus Vorfreude und Hungergefühl? Ist der immer gleiche McDonalds Burger der Inbegriff von Reproduktion eines Gerichts?

Ihr merkt, dass die Ausstellung bei uns für Gesprächsstoff gesorgt hat. Ganz abgesehen davon, ist es auch einfach schön sich schöne Fotografien von Essen anzusehen. Auch wenn es sehr hungrig macht.

Für mich hat die Kunsthalle, in der ich zum ersten Mal war, die perfekte Größe. Wir waren ca. 1,5 Stunden beschäftigt. Auch die Atmosphäre in der Kunsthalle gefällt mir gut, es lohnt sich dort einmal vorbeizuschauen. Als nächstes wird übrigens eine eine Ausstellung über die Frauen des Bauhauses gezeigt.

Fäviken Schweden

Fotografien von Magnus Nilsson, dem Koch aus dem Fäviken in Schweden. Dort will ich unbedingt mal essen gehen.

Genau wie andere Kunstformen auch, weckt Essen Emotionen. Ein Geschmack ist in der Lage jemanden zurück in die eigene Kindheit zu führen, ein Geruch weckt Bilder längst vergangener Zeit. Essen kann ein Gefühl von Heimat erzeugen, die losgelöst vom aktuellen Standort erfahrbar wird. Es ist eine machtvolle Kunstform, die jedoch durch die ständige Konfrontation im Alltag oft ihre Wirkung verliert. Zeit sich einmal bewusst mit ihr auseinanderzusetzen. Im Museum oder zuhause in der Küche.

Kunsthalle Erfurt
Die Kunsthalle Erfurt zeigt zeitgenössische bildende Kunst. Foto: Julia Rühr

Mein Favorit in der Ausstellung ist übrigens direkt zu Beginn zu sehen: die Fotos von Sylvan Müller sind für das Kochbuch „Meat der Green“ entstanden, das Gerichte aus dem Hiltl, dem ersten vegetarischen Restaurant der Welt zeigt. Das Hiltl bezeichnet sich als vegetarische Metzgerei und genau das spiegeln auch die Bilder von Müller wieder: scheinbar blutverschmierte Metzger schlachten Rote Bete oder Melonen und sorgen nach kurzer Irritation für viel Spaß.

Welche Bilder gefallen euch am besten?

 

Die Ausstellung ist noch bis zum 31. März in der Kunsthalle zu sehen. Packt euch einen Notfall-Müsliriegel ein oder reserviert euch für danach einen Tisch. Ihr werdet hungrig sein.

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag: 11 – 18 Uhr
Donnerstag: 11 – 22 Uhr

Eintritt:
Erwachsene: 6,00 Euro
Ermäßigte: 4,00 Euro

Kunsthalle Erfurt:
https://kunstmuseen.erfurt.de/km/de/kunsthalle/index.html