In Massimo Butturas öffentlichem Spielzimmer steht ein Lamborghini auf den eine Zitonen-Tarte lackiert ist. „Oops, I dropped the lemon tart“ ist der Titel seines Gerichts, das inszeniert wird, wie eine Grafik von Andy Warhol. Spitzenkoch Buttura ist Kunstliebhaber und begreift sich selbst als Künstler. Seine Kunst ist das Kochen, doch auch in Sachen Selbstdarstellung ist er Profi.

„Slow Food and fast cars.“ – So lässt sich die Region der Emilia-Romagna gut beschreiben.

Nur wenige Kilometer außerhalb von Massimos Heimatstadt Modena, liegt die Casa Maria Luigia. Ein italienisches Landhaus, das jetzt schon als Bottura-Museum taugt. Es gibt ein Musikzimmer mit Massimos Plattensammlung, einen Spirit-Room mit seinen liebsten Alkoholika und viel Raum für seine Kunstsammlung. Außerdem natürlich das Spielzimmer, dass sich irgendwo zwischen Fitnessraum, Galerie und Garage einordnen lässt. Zwischen Designermöbeln kann man in der Casa Maria Luigia ein paar Nächte in der „Zeitkapsel von 25 Jahren Ehe von Massimo und Lara“ verbringen und immer wieder Gegenstände entdecken, die Massimo schwungvoll signiert hat.

Dieser pseudo-persönliche Kontakt zur Familie Bottura ist weniger der Grund, warum wir uns mit unseren Freunden Julia und Marne eine Nacht in der Casa Maria Luigia gönnen. Ihr ahnt es vielleicht – wir sind wegen des Essens hier. Unser Ziel ist das Abendessen, bestehend aus einem Best-Of von Massimos bekanntesten Gerichten.

Die Casa Maria Luigia liegt in einem kleinen Park mit Teich, Pool und Gemüsegarten.

Wenn ich sage, dass die geschmackvoll eingerichteten Zimmer und das luxuriöse Verwöhnprogramm nur ein notwendiges Übel sind, dann ist das natürlich völlig übertrieben. Ich habe selten oder vielleicht sogar noch nie in einem so tollen Hotel übernachtet. Ich bekomme schon wieder Herzklopfen, wenn ich an die zauberhaften Leinenvorhänge und das bequeme Bett denke.

Aber zurück zum Wesentlichen: Massimo Bottura ist einer der bekanntesten Köche der Welt. Seine Osteria Francescana in Modena hält seit Jahren drei Michelin-Sterne und wurde zwei Mal zum besten Restaurant der Welt gekürt. Mit seiner Interpretation traditioneller Gerichte hat Massimo die italienische Küche revolutioniert. Er liebt die guten und langsamen Zutaten, aus der Genussregion der Emilia-Romagna. Echter Parmigiano Reggiano, handwerklich hergestellter Balsamico, feiner Lambrusco und kleine feste Tortellini. All diese Dinge hat Massimo genommen und neu in Szene gesetzt. Gewürzt wird bei ihm mit einer großzügigen Prise Nostalgie und Emotion. Er ist meisterhaft darin, Geschichten zu seinen Gerichten zu erzählen. In blumigen Worten beschreibt er seine Inspiration, die er oft in der Kunst oder in Kindheitserinnerungen findet.

Massimo Bottura und seine Küchenchefin Jessica Rosval.

Am heutigen Abend übernimmt Küchenchefin Jessica das Geschichtenerzählen. Sie ist meisterhaft darin und spricht frei und beherzt über Massimos Leben, während sie zwischen der offenen Küche und den Gästen steht. Die gebürtige Kanadierin wurde dieses Jahr als beste Köchin Italiens ausgezeichnet. Falls sie mal eigenes Restaurant eröffnen sollte, dann würde ich jetzt schon einen Platz buchen.

Wir vier hängen jedenfalls an ihren Lippen, als sie uns die ersten drei, der insgesamt neun Gerichte vorstellt. Berührend ist ihr Bericht über den zweiten Gang „If I am wrong I am Right“, der letztes Jahr in einer Art Wettbewerb im Lockdown entstanden ist. Massimo gab seinen Mitarbeitenden die Aufgabe ein Menü inspiriert vom Beatles Album „Sgt pepper’s lonely hearts club band“ zu kreieren. Ich kann mir gut vorstellen, wie all die Köchinnen und Köche einsam und doch gemeinsam an ihren Ideen feilten.

Die Story dieses Gerichts in kurz: Im Lockdown darf niemand reisen, nur der Kabeljau reist nach Thailand, um in einer Soße aus Zitronengras und Ingwer zu schwimmen. Schmeckt!

Geschmacklich ist das erste Highlight der dritte Gang,“Riso Carmouflage“, dreierlei Risotto (Kräuter, Pilz und Tintenfisch), die im Camouflage-Muster angeordnet sind und sowohl für sich allein, als auch vermengt spannend schmecken.

Dann folgt ein neuer Vortragsblock von Jessica, um die nächsten drei Gerichte vorzustellen. Unterbrochen nur von einem leicht unangenehmen Spontanapplaus als Massimo den Kopf aus der Küche steckt. Er sei gerade aus Dubai zurück und wolle nur mal nach dem Rechten schauen. Schnell dreht er eine Runde und plaudert kurz an jedem Tisch, bis er sich wieder zurückzieht. Auch seine Frau Lara ist mittlerweile im Restaurant angekommen. Sie plaudert mit den Gästen und erkundigt sich freundlich nach Berufen und Herkunft. Für uns fühlt sich das ein bisschen so an, als würde man beim ersten Date die Eltern des Angebeteten treffen. Nicht zu angenehm. Ich kann mir aber vorstellen, dass es manchen Leuten gefällt.

Irgendwo zwischen Kunst und Krieg: Carmouflage.

Lieber zurück zum Essen. Als nächstes stehen drei ikonische Gerichte auf dem Menü. Ich kenne sie aus der Chef’s Table Folge über Massimo und bin unglaublich gespannt darauf, wie sie wohl schmecken.

Los geht’s mit „Five ages of Parmigiano Reggiano, in different textures and temperatures“. Dieses Gericht ist eine Hommage an die geschmackliche Komplexität, die Parmesan mit sich bringt. Es besteht nur aus zwei Zutaten: Parmesan und Wasser. Der verschieden lang gereifte Parmesan wird in unterschiedlichen Formen präsentiert: als Soufflé (24 Monate gereift), als Mousse (36 Monate gereift), als Soße (30 Monate gereift), als Chip (40 Monate gereift) und als Luft (50 Monate gereift).

Klar, alles schmeckt nach Parmesan und bleibt dadurch irgendwie ähnlich, aber durch die verschiedenen Konsistenzen und Reifezeiten ist doch jedes Element sehr unterschiedlich. Ich mag, wie dieses Gericht eine Zutat nimmt und sie von allen Seiten beleuchtet.

Bei diesem Gericht gibt es nur gustatorische und keine optischen Kontraste: „Five ages of Parmigiano Reggiano, in different textures and temperatures“. 

An das darauf folgende „The crunchy part of the Lasagna“ habe ich hohe Erwartungen, denn ich bin wirklich ein sehr großer Fan von eben diesen crunchy Käse-Soßen-Elementen an einer Lasagne. Schafft es dieses Gericht wirklich, dieses eine Element zu isolieren?

Ein bisschen schon. Der leicht rauchige Chip, der für den Crunch sorgt, ist lecker, aber am besten schmeckt er trotzdem zusammen mit ein bisschen Ragout auf der Gabel. Und das Ragout ist wirklich unfassbar gut.

Wir fragen uns, welche einzelnen Elemente wir von anderen Gerichten so gut finden, dass wir sie gern isolieren würden. Ich wäre für: „Die gefrorene Sahne unter dem Spaghetti-Eis.“
Und dann kommt „beautiful psychodelic, spin painted veal, charcoal grilled with glorious colors as a painting“. Name und Look dieses Gerichts sind an die Kunst von Damien Hirst und seine Spin Paintings angelehnt. In diesem Fall bezieht sich die Verknüpfung vor allem auf das Aussehen. Der Teller wird wild mit Farbklecksen aus unterschiedlichen Soßen bespritzt. In der Mitte sitzt ein Stück Kalb in einer fantastischen dunklen Soße. Es ist mehrfach sous-vide gegart und dann in verbrannten Kräutern gewendet, um für die nötigen Röstaromen zu sorgen. Es ist unglaublich zart, geschmackvoll und lecker. Die Soßen beeindrucken mich allerdings auch. Besonders die gelbe Soße schmeckt intensiv nach Paprika. Jessica führt uns in die italienische Kunst des „Scarpetta“ ein – die Kunst, mit einer Scheibe Brot, die letzten Reste der Soße vom Teller aufzutunken. Sehr nach meinem Geschmack!

Alle Gäste können jederzeit beim Anrichten in der offenen Küche zusehen. Aber Achtung, es könnte spritzen.

Nach diesem Highlight folgt ein weiterer Erklärblock für die drei Desserts. Mittlerweile ist uns der große Unterschied bewusst geworden, der zwischen Jessicas herzlicher und professioneller Ansprache und dem restlichen Service besteht. Die Kellner sind steif, stumm und schlecht synchronisiert. Vom dezenten, aufmerksamen und perfekt eingespielten Verhalten, das mich bisher in hochklassigen Restaurants beeindruckt hat, sind wir sehr weit weg. Besonders schade finde ich, dass die Weinbegleitung überhaupt nicht erklärt wird. Nunja, vielleicht ist das so, wenn man nicht in der echten Osteria isst.

So sieht es aus, wenn bei Massimo Bottura ein Kuchen runterfällt.

Es folgen die Desserts: Tiramizucca, ein Tiramisu mit Kürbiscreme und dann „Oops! I dropped the lemon tart“. Dieses sehr bekannte und viel beschriebene Gericht (ja, das, was auch auf Massimos Lamborghini zu sehen ist) möchte uns das Perfekte im Unperfekten zeigen. Tatsächlich sind Flo und Julia sehr große Zitronen Tarte Fans, ich eher nicht. Aber besonders für mich ist dieses Gericht ein Highlight. Die Zitronencreme ist nicht zu süß, wunderbar zitronig und der Mürbeteig herrlich bröckelig und hat angenehm würzige Einschläge. Vielleicht ist sie genau die richtige Tarte, wenn man Zitronentarte nicht liebt.

Beendet wird das Menü mit „Surprise surprise“. Einer Schüssel klassischer Tortellini. Schöne Grüße an Massimos Oma, der dieses traditionelle Gericht gewidmet ist. Es ist super lecker, aber auch wirklich viel. Nennt mich klassisch, aber für mich hätte dieser große herzhafte Gang am Ende nicht sein müssen.

Ich staune immer wieder, was man mit Kürbis alles anstellen kann.

Wie wars also?

Um das vorwegzunehmen, die Messlatte der Erwartungen ist bei einem Best-Of-Menü von einem der besten Köche der Welt sehr hoch. Und ein Restaurant hat es immer schwer, wenn man schon vorher selbst kaum glauben kann, dass es wirklich so gut sein wird, wie man es  erwartet (bei diesem Koch und diesem Preis). Das Essen in der Casa Maria Luigia war sehr gut. Sehr sehr gut. Aber ich bin trotzdem unsicher, ob mich der Abend motiviert die Schlacht, um einen der hart umkämpften Plätze in der Osteria Francescana anzugehen oder ob mir dieser Einblick in Massimo Botturas Küche reicht.

An einem Ort, der Käse als Gastgeschenk bereitstellt, kann nichts verkehrt sein.

Was mich jedoch wirklich tief beeindruckt hat, ist das Frühstück am nächsten Morgen. Die luxuriöse Nachempfindung eines klassischen italienischen Bauernfrühstücks bietet eben jene Geschmacksreferenzen, die ich in einem hochklassigen Restaurant erwarte. Am Morgen im Holzofen frisch gebackene Focaccia mit Nüssen und Honig, karamellisierte Birnen und Äpfel, ausgebackene Teigteilchen mit Mortadella und Ricotta, ein mit Puddingcreme gefülltes Croissant und Parmesan mit Balsamico. Vielleicht ist das die von Massimo geliebte italienische Tradition der guten Zutaten, die ich bei diesem Frühstück spüre. Ich bin jedenfalls sicher, dass ich vieles, was es hier gibt, noch nie oder noch nie besser gegessen habe.

Als ich morgens vom Badezimmerfenster aus gesehen habe, wie der hauseigene Steinofen angefeuert wurde, da wusste ich, dass das Frühstück gut werden würde.

Die Casa Maria Luigia ist definitiv ein besonderer Ort. Es ist ein tolles Gefühl auf einem der Designklassiker Platz zu nehmen und durch die vielen interessanten Bücher zu stöbern oder sich im Garten ein lauschiges Plätzchen in Sichtweite des Gemüsegartens zu suchen. Ich kann mir vorstellen, wie in der Community-Küche Hollywood-taugliche Geschichten entstehen, wenn sich dort nachts Gäste zufällig bei Snacks und Milch treffen.

Frühstück ist fertig!

 

Für mich ist die Casa Maria Luigia mit Dinner im Francescana somit ein gelungenes Gesamterlebnis und ich habe schon jetzt Lust, dort noch einmal im Sommer einzukehren.

 

Infos in Kürze:

Die Dining-Experience im Francescana in der Casa Maria Luigia lässt sich am einfachsten mit einer Übernachtung buchen. Teilweise ist es jedoch auch möglich nur dort zu essen. Im Sommer gibt es außerdem Sonntags einen Brunch.

Adresse:  Stradello Bonaghino, 56, 41126 Modena MO, Italien

Mehr Infos: https://casamarialuigia.com/