Dieser Text ist zuerst in meiner Kolumne „Mhh… mit Mira: Foodstorys aus Thüringen“ im Takt.Magazin erschienen. Die Kolumne erscheint monatlich und beleuchtet spannende Restaurants, Cafés oder Produzent*innen aus Thüringen.

Kennt ihr die Serie „The Bear“? In dieser DisneyPlus-Produktion geht es um den jungen Koch Carmen, der Küchenchef im besten Restaurant der Welt war. Als sein Onkel stirbt und ihm das Familienrestaurant in Chicago vererbt, erlässt er seine Michelin-besternte Küche und versucht gegen alle Widrigkeiten das Erbe seines Onkels auf Vordermann zu bringen. Dabei gilt es zahlreiche Hindernisse zu überwinden: unwillige Mitarbeiter, schwierige Nachbarn, das Gesundheitsamt und die Erwartungen der Stammkundschaft, die nicht erfreut über die Neuerungen in der Küche sind. Als wir das Ortsschild von Westhausen, 10 Minuten nördlich von Gotha, passieren, überlege ich, ob in diesem kleinen Dorf vielleicht eine kleine Thüringen-Version dieses Dramas spielt.

Je nach Perspektive siehts in der Neuen Mühle doch ein bisschen aus wie in Omas Wohnzimmer.

2020 hat Martin Geleick die Dorfgaststätte „Neue Mühle“ von seinem Onkel übernommen, der Insolvenz anmelden musste. Zu Beginn zusammen mit seiner Schwester, mittlerweile allein, ist er sowohl Küchenchef als auch Geschäftsführer. Verglichen mit der Serie hat Martin sicherlich nicht im besten Restaurant der Welt gearbeitet, aber immerhin im hippen „Grill Royal“ in Berlin. Außerdem gab es diverse Stationen in den Gourmet-Küchen von AIDA-Schiffen, in Frankfurt und an der Mosel. Er hat also was gesehen von der Welt und weiß, dass man sonntags nicht immer Klöße essen muss. Als Martin von seinem Werdegang berichtet, spüre ich den Gegenwind, der ihm in Thüringen sicherlich ab und an um die Nase weht, beinah körperlich.

Landei auf Brioche. Flüssiges Ei kriegt mich immer. Das Brioche überzeugt mich nicht ganz.

Schaut man sich die „Neue Mühle“ an, so kann man die Zerrissenheit zwischen alt und neu deutlich erkennen. Auf den ersten Blick sieht man am Dorfrand ein ziemlich altes Gebäude im Vereinsheim-Look mit nackter, grau-brauner Fassade, das wenig einladend wirkt. Traut man sich jedoch um die Ecke, so sieht man freundliche und moderne Lampen über den Tischen hängen und polierte Weingläser zwischen gefalteten Servietten auf den Tischen stehen. Aus dem Gastraum ist so viel wie möglich an Erneuerung rausgeholt, ohne direkt neuzubauen. Beim Eintreten nehme ich trotzdem den charakteristischen Geruch wahr, den es nur in Dorfgaststätten gibt.

Von Innen überrascht die Neue Mühle auf jeden Fall positiv. 

Auf der Speisekarte stehen Menüs von drei bis sechs Gängen (48 – 78 €). Wir nutzen heute allerdings die Möglichkeit à la Carte zu bestellen, um uns am Tisch mehrere Gerichte teilen zu können. Beim Studieren der Karte freuen wir uns über regionales Bier vom Heimathafen in Erfurt, Duroc-Fleisch aus Floh-Seligenthal, Fisch vom Kressepark und Bio-Brot aus der Erfurter Backstube. In der kleinen Getränkeauswahl finden sich zum Beispiel Weine von der Mosel und aus Saale-Unstrut.

Die Vorspeisen sind allesamt toll. Dieses Bärlauchsüppchen hat es in sich!

Als Amuse wird uns ein Spicy Shrimp serviert, der, obwohl ich den Shrimp nicht esse (Meeresfrüchte sind leider gar nicht meins), ein Highlight ist. Die sehr scharfe Soße mit Ananas ist wie der Shrimp ganz bestimmt nicht massentauglich, aber ich finde sie wirklich lecker. Dann gibt’s Wildkräutersalat (puristisch knackig), Brot mit Bärlauchbutter (Frühling!) und Aioli (cremig), Außerdem bestellen wir ein perfekt pochiertes Ei auf buttrigem Brioche (herrlich!). Mit der folgenden Bärlauch-Kartoffelsuppe kann die Pasta mit Kräuterseitlingen und Tomaten, die wir als Hauptgang bestellen, leider nicht mithalten. Doch die große cremige Schokoladenpraline mit Johannisbeersorbet gleicht das wieder aus. Die Verzierung mit diesem lustigen Knisterpulver, das man sonst von den Süßigkeiten der 90er kennt, trifft zudem nicht nur meinen Geschmack, sondern auch meinen Humor.

Das Nudelgericht funktioniert leider nicht ganz so gut. 

Martin Geleick hat sich richtig viel vorgenommen: Er will vorzugsweise lokale Produkte in einem Fine Dining inspirierten Stil, frisch und handgemacht, in einem Thüringer Dorf servieren. Hier den Spagat zwischen dem Anspruch auf ein gehobenes und vielseitiges Menü und der Umsetzbarkeit dessen als One-Man-Show in der Küche zu schaffen, ist keine Kleinigkeit. Dieses ambitionierte Vorhaben funktioniert teilweise hervorragend, teilweise geht auch ein bisschen was schief. Sicher wie der Kloß am Sonntag ist jedoch, dass dieses Vorhaben wahnsinnig mutig und unterstützenswert ist. In der „Neuen Mühle“ stecken Können, Herzblut und viel Potential.

Beim Dessert ist meine Begeisterung allerdings wieder geweckt.

Beim nächsten Besuch würde ich eines der festen Menüs bestellen, um die Chance auf unerwartete Highlights wie den Shrimp nicht zu verpassen. Oder ich würde mal zum Frühstück vorbeikommen. Mit Gruyère-Waffel oder Pastrami-Schnitte klingt das nämlich großstädtischer als ich es in Erfurt je gesehen habe.