Von außen kaum zu vermuten: Das Pietsch ist von innen ziemlich modern.
2012 hat er sein Restaurant ZeitWerk eröffnet. Hier wird die traditionelle Küche des Harzes neu interpretiert. Klassiker wie „Tote Oma“, Senfeier oder Harzer Käse schmecken bestimmt nicht wie bei Mama, sondern bekommen von Robin Pietsch neue Aufmerksamkeit und den ein oder anderen überraschenden Twist.
Wir sind dieses Wochenende allerdings nicht für das ZeitWerk in Wernigerode, sondern für Pietsch’s zweites Restaurant, das 2019 eröffnet wurde. Der schlichte Name lautet „Pietsch“. Die Ausrichtung unterscheidet sich vom ZeitWerk, zwar werden ebenfalls viele regionale Zutaten verwendet, die Inspiration für die Zubereitung kommt allerdings aus Asien und der ganzen Welt.
Jedes Mal schön: eine persönliche Speisekarte aus einem Umschlag zu holen.
Macaron mit vegetarischer Foie-Gras Füllung.
Es ist ein schöner Frühsommertag an dem wir mit zwei Freunden das Pietsch suchen. Wir schleichen kurz durch die niedlichen Gassen, bis wir den richtigen Innenhof entdecken. Ziemlich unauffällig schimmern hier die Umrisse zahlreicher Fermentations-Gefäße durch eine Milchglasscheibe. Wir werden freundlich hereingebeten (bevor wir selbst die Tür öffnen) und finden uns kurz darauf in einem Raum wieder, der atmosphärisch einen großen Kontrast zur heimeligen Innenstadt von Wernigerode bietet. Betonwände, unverkleidete Lüftungsrohre und ein langer Tresen.
Das Pietsch hat nur 14 Sitzplätze, die sich größtenteils direkt am Tresen befinden. Die Gäste können den Mitarbeitenden direkt beim Anrichten der Speisen zuschauen. Theoretisch. Leider ist der Tresen so konzipiert, dass man strenggenommen eher auf die Rücken der Mitarbeitenden schaut. Das führt in meiner Wahrnehmung dazu, dass die Kommunikation von Gästen und Mitarbeitenden nicht so richtig in die Gänge kommen will.
Das Menü beginnt mit allerlei Fingerfood.
Aber ich will mich gar nicht beklagen – unsere Vierergruppe bekommt den Platz über Eck am Ende des Tresens, sodass wir uns relativ gut unterhalten können und trotzdem alles im Blick haben. Das sollte man bedenken: für größere Gruppen ist das Pietsch nicht ideal, da man nebeneinander sitzt. Außer man mietet direkt das ganze Restaurant. Ist ja bei der Größe auch nicht ganz abwegig.
Wir haben es uns gerade erst auf den „hochwertigen Barhockern“ (ja, das verdient eine extra Bemerkung auf der Website) bequem gemacht, da geht es auch schon los. Ein sprudeliger Lambrusco Grasparossa aus der Emilia-Romagna wird als Aperitif auserkoren. Lecker! Und er erinnert uns an gute Zeiten in der Casa Maria di Luigia bei Massimo Bottura.
Das Menü beginnt für alle Gäste gleichzeitig. Wir fragen uns kurz, ob wir versehentlich zu spät gekommen sind, denn es geht sofort los. Gefühlt, sobald wir sitzen. Ein bisschen Zeit zum Ankommen wäre schön gewesen.
Kapuzinerblüte mit Avocado
Stulle mit Rote Bete
Übrigens: Im Pietsch wird ein omnivores Menü angeboten. Wir haben im Vorhinein nach einem vegetarischen Menü gefragt, sowie darum gebeten, im zweiten Menü Fisch und Meeresfrüchte wegzulassen. Das ging problemlos.
Chawanmushi: Der japanische Eierstich liegt im Trend.
Eine weitere Herausforderung für die weiße Bluse.
Zum ersten Mal brauchen wir Besteck als wir uns einem kleinen Schälchen mit einer Umami-Brühe mit Chawanmushi widmen. Mir scheint, dass der japanische Eierstich aktuell im Trend ist. Zumindest ist das jetzt schon das dritte Restaurant in kurzer Zeit, in dem es uns begegnet. Ist aber auch lecker. Und das trifft auch auf die Brühe zu. Hach, was für ein schöner kräftiger Geschmack.
Ein gutes Stichwort, um kurz auf die alkoholfreie Getränkebegleitung einzugehen. Das erste Glas ebenjener hat vorrangig einen kräftigen Geruch. Kohl – Apfel – Karotte riecht wirklich schaurig, schmeckt aber gut. Ein Phänomen, das uns als erfahrene Fermentierer wohl bekannt ist. Insgesamt ist die alkoholfreie Begleitung über den ganzen Abend sehr kreativ, mutig und gut auf das Essen abgestimmt. Mein Favorit ist eine Art Kimchi-Saft mit Sauerkirsche und Sesamöl. Sauer, süß, scharf – hier ist echt alles vertreten. Meiner Meinung nach lohnt es sich im Pietsch die Getränke auszuprobieren. Ich habe den Eindruck, dass hier viel und gern experimentiert wird.
Mein professionelles Verkostungs-Gesicht.
Alkoholfreie Getränke in allen Farben der Verkehrsampel.
Kulinarisch geht es mit einem Bao Bun weiter. Vielleicht hatte ich zu hohe Erwartungen, aber ich finde den Teig ein bisschen zu fest und die Füllung zu meerrettichlastig. Der nächste Gang kann allerdings überzeugen. Ein Kimchiblatt, das mit einer Tomatenmayonnaise gefüllt ist, schafft es auf die Liste der Dinge, die wir zuhause selbst ausprobieren möchten.
Eine tolle Kombi: Kimchi und Tomatenmayo
Onsen-Ei und Kartoffeln, so gut!
Das Niveau bleibt mit einem sehr fluffigen Brioche mit aufgeschlagener Butter hoch und gipfelt in einem seelenschmeichelnden Gericht aus Kartoffeln, einem Onsen-Ei und Trüffel. Soulfood vom feinsten. Abwechslungsreich wird es mit einem Shiitakepilz auf Maisschaum, der mit schönen Akzenten von Johannisbeeren garniert wird.
Es folgt Karotte in Vin Jaune mit einer gehörigen Portion Thymian und dann das Hauptgericht. Im omnivoren Menü gibt es Tenderloin mit einer herrlichen Portwein-Soße, einer klitzekleinen Karotte und einer Mandelcreme. Das Fleisch ist toll gegart und die Soße angenehm intensiv. Die vegetarische Variante ersetzt das Fleisch schlicht durch eine gegrillte Pastinake, an der sich leider nichts Besonderes feststellen lässt.
Karotte, Vin Jaune, Zitronenthymian
Pastinake, Karotte, Mandel
Um das Menü zu beenden, dürfen wir zwei Desserts genießen. Besonders das mit Blattgold bestäubte Mochi mit Sanddorn-Yuzu-Füllung bleibt in Erinnerung. Sehr frisch, sehr sommerlich.
Pompös präsentiert: Kokoseis.
Toll, endlich mal was mit Goldstaub essen.
Fazit:
Ein schöner Abend mit tollem Essen. Zwar hat die offene Küche zu weniger Kommunikation geführt, als ich erwartet hatte, aber das Zuschauen hat trotzdem viel Spaß gemacht.
Das Ambiente (und die Musik) waren nicht so mein Geschmack, aber hey, nicht überall kann die Playlist aus dem Tulus Lotrek laufen. Und natürlich war das Essen das wichtigste am Abend und das war wirklich gut.
Würde ich wiederkommen? Wahrscheinlich würde ich zuerst das Zeit.Werk besuchen, denn das Konzept interessiert mich schon sehr.
Sehr sehr leckerer Yuzu-Tee.
Infos in Kürze:
Das Restaurant Pietsch hat von Mittwoch bis Samstag geöffnet. Die Gäste werden ab 19.30 Uhr eingelassen, das Menü beginnt für alle um 19.45 Uhr. Eine Reservierung sollte mit ausreichend Vorlauf erfolgen.
- Gaumenwertung 8,3/10
- Gesamterlebnis 8,1/10
„Sensationell, wir wollen nicht aufhören zu essen!“
DETAILIERTE BEWERTUNG
Mira |
Flo |
Mira&Flo |
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Gaumen | 8,0/10 | Gaumen | 8,5/10 | Gaumen | 8,3/10 |
Getränke | 9,5/10 | Getränke | 9,0/10 | Getränke | 8,5/10 |
Atmosphäre | 7,0/10 | Atmosphäre | 7,5/10 | Atmosphäre | 7,3/10 |
Service | 7,5/10 | Service | 7,5/10 | Service | 7,5/10 |
Gesamterlebnis | 8,2/10 | Gesamterlebnis | 8,4/10 | Gesamterlebnis | 8,1/10 |