Jahrelang stand das kleine Lokal in der Allerheiligenstraße immer wieder leer. Niemand konnte sich so richtig lange in den Räumen halten, obwohl sie mitten in der Erfurter Innenstadt liegen. Bis im November 2019 das Estima kam und der ehemaligen Eisdiele mit ihrem heißen spanischen Atem Leben einhauchte.
Spricht man vom Estima, so muss man auch über das Catalana sprechen. Jahrelang hat das beliebte Tapas-Restaurant Gäste mit spanischen Köstlichkeiten beglückt. Dabei hat es sich von einer schicken Tapas-Bar zu einem Tapas-Restaurant entwickelt. Mehr Qualität, mehr Raffinesse, andere Portionsgrößen, höhere Preise. Das hat nicht jedem Catalana-Fan gefallen, obwohl es wahrscheinlich jedem geschmeckt hat.
Geplant war dann ein Umzug an den Wenigemarkt, den wahrscheinlich mediterransten Platz in Erfurt. Das alte Lokal war bereits geschlossen als der Deal platze.
So entstand das Estima. Das Estima serviert vorrangig ein Degustationsmenü von 5 bis 7 Gängen (67 – 87 €). Die Küche ist modern-mediterran und bietet immer wieder Akzente aus der katalanischen Tradition.
Der Amuse macht mich froh und steigert meine hohen Erwartungen ins unermessliche.
Wenn das Catalana eine unkomplizierte Studentin in Barcelona ist, die einfach gerne ihren Spaß hat, dann ist das Estima ihre schicke große Schwester, die einige Zeit in Paris gelebt hat und den Hauch der weiten Welt mit ihren spanischen Wurzeln verbindet.
Neben dem Menü werden seit dem Frühjahr 2020 auch wieder Tapas angeboten. Die Nachfrage der Gäste ist anhaltend groß. Trotzdem ist das Estima kein Tapas-Restaurant. Und erst recht keine Tapas-Bar. Das unterstreicht Inhaber Jan Hendrik Feldner mit Nachdruck. Das Estima möchte unbedingt ein Fine-Dining-Restaurant sein und in der schmalen Riege der gehobenen Gastronomie in Erfurt mitspielen.
Bei unserem Besuch im Restaurant entscheiden wir uns für ein 6-Gänge-Menü. Ich freue mich die angebotene Jakobsmuschel vom Plan zu streichen und Flo verzichtet dafür auf einen Steinbutt mit Iberico-Schinken, Orange, Beurre Blanc mit Safran und Schalotten. Selbst schuld, kann ich da nur sagen.
Mit einem perfekt gegarten Ei kann man eigentlich nie etwas falsch machen.
Das Menü, beginnt auf hohem Niveau. Der Gruß aus der Küche ist sehr lecker: ein Tatar vom Rind mit Patatas Bravas Soße und Perlhuhn auf einem gepufften Tapioka-Chip. Sehr geschmacksintensiv und sehr lecker. Ich mag den kleinen spanischen Akzent in der Komposition. Darauf folgt ein sous-vide-gegartes 65 Grad Ei mit Blumenkohl (als Püree und in Naturform) und eine kräftige Pilzboullion. Sehr sehr lecker und im Nachhinein betrachtet meine Highlights des Abends! Wir stoßen dazu mit einem Cava an.
Jakobsmuscheln und ich werden wohl nie Freunde. Neben dem geschmackvollen Gurkentatar wirkt sie etwas blass.
Es folgen die eben angesprochenen Vorspeisen (Jakobsmuschel und Steinbutt), bis wir zu Kürbisvariationen mit Ziegenkäse kommen. Die Gerichte sind teilweise saisonal geprägt. Einzelne Gerichte wechseln alle paar Wochen und ca. alle zwei Monate wird die Karte komplett ausgewechselt.
Der Kürbis ist nicht nur schön, er ist auch lecker. Hokkaido als Püree und eingelegt, wird von einem Tatar vom Butternut-Kürbis unterstützt. Dazu schmiegt sich ein milder Ziegenfrischkäse samtig an den Gaumen. Ein simples, schönes Gericht.
Minimalistisch präsentiert, maximal lecker.
Ein bisschen ausführlicher möchte ich auf die Hauptspeisen eingehen:
Zuerst wird ein Schwarzfederhuhn serviert. Die Menükarte (übrigens A4 selbst ausgedruckt mit Schriftart Calibri, was ich mal auf die Corona-Regelungen schiebe) verrät uns, dass es sich um ein Huhn mit der französischen Qualitätsauszeichnung „label rouge“ handelt. Es ist erwartungsgemäß zart und wird von einem ebenso köstlichen Polenta-Taler begleitet.
Drum herum findet sich eine Essig-Reduktion, die reichlich Süße mitbringt. Einzelne Weizengrashalme sorgen für einen spannenden Look. Dazu findet sich noch karamellisierter Baby-Mais auf dem Teller, der ebenfalls ziemlich süß ist. Nichts davon kann sich jedoch mit dem zuckrigen Popcorn-Schaum in der Mitte des Tellers messen. Insgesamt ist mir die Balance dieses Gerichtes zu weit in Richtung „süß“ gerutscht, was ein bisschen schade ist.
Schwarzfederhuhn mit Polenta, Babymais, Essigreduktion und Popcorn-Schaum.
Spannend geht es dann mit dem zweiten Hauptgericht weiter. Wagyu-Rind an einem Schaum von Paella-Reis, einem weiteren Schaum aus Wagyu-Fett sowie einem Tatar aus Aubergine und Chorizo. Ziemlich viel Tatar für ein Menü.
Für dieses Gericht sollte man definitiv ein Fleischesser sein, denn sogar die Aubergine schmeckt nach Fleisch. Der Wagyu-Fett-Schaum macht neugierig und hält meine Erwartungen aus: Er schmeckt als würde man einmal durch eine alte Pfanne lecken und diesen Geschmack in etwas Sprühsahne mischen. Das klingt ekliger als es ist, denn es passt schon irgendwie zum Rest. Das Fleisch ist sehr schön zart, erwartungsgemäß fettig, aber das finde ich eigentlich ganz schön.
Wir haben einen Platz am Chef’s Table und können zuschauen, wie unsere und andere Gerichte zubereitet werden. Als letztes ist das ein schönes Dessert mit viel Baiser, Mandarine und einem köstlichen Mandel-Crumble.
Mir gefällt die entspannte Atmosphäre am halbhohen Tresen. Die zwei Köche rund um den Küchenchef Sebastian Ernst arbeiten routiniert, sehr entspannt und leise. Fünf Leute finden am Chef’s Table Platz. Wir sind heute mit einer Plexiglasscheibe von zwei anderen Gästen abgetrennt. Eine gut durchdachte Corona-Maßnahme.
Mandel-Crumble mit Basier-Haube und Mandarinen.
Ansonsten ist das Restaurant etwas größer, als ich von außen vermutet habe, da es schlauchartig nach hinten geht. Die offene Küche befindet sich in der Mitte des Restaurants. Das macht den Raum locker und bietet etwas zum Schauen. Ansonsten ist der Raum sehr schlicht und modern eingerichtet. Kaum Deko an den Wänden, aufgrund des Schnittes keine Fenster, dunkle Farben und moderne Möbel. Ein sehr cleaner Look.
Etwas, das sich aus alten Catalana-Zeiten erhalten hat, ist die Art der Weinauswahl. Zwar liegt eine kleine Weinkarte aus (warum, kann ich nicht genau sagen), doch egal, ob man einen Wein von der Karte auswählt oder nicht, bekommt man drei Weine in Schnapsgläsern zum Verkosten, um sich dann zu entscheiden. Ich finde diese Art zwar neckisch, aber vermisse ein bisschen die Beratung drum herum. Hätten wir nicht nachgefragt, hätten wir gar nicht erfahren, was wir schlussendlich getrunken haben. Nichtsdestotrotz finden wir einen schönen Rotwein von Ramon Bilbao, der uns gut gefällt.
Ich bin Fan von den Pralinen am Ende des Menüs und wünsche mir, dass Mon Cherié auch nur ansatzweise so gut schmecken würde, wie die Interpretation, die hier zu sehen ist.
Fazit
Das Estima ist eine tolle Ergänzung für die schickere Gastronomie in Erfurt. Für uns war es ein schöner Abend mit leckerem Essen. Die Küche ist modern und kreativ. Manche Gerichte erschienen uns nicht ganz ausgereift. Ein bisschen zu viele Komponenten, die sich nicht immer gegenseitig zuträglich waren. Ein bisschen zu viele Schäumchen, Gele und Pulver, die nicht immer einen Zweck erfüllt haben.
Ein Kritikpunkt ist für mich das Gesamterlebnis, das ich bei Menüs dieser Art (und Preisklasse) erwarte. Hätten wir nicht zwischendurch nach Pausen gefragt, hätten wir wahrscheinlich 6 Gänge in 1,5 Stunden absolviert. Es ist sicherlich Geschmackssache, aber wenn ich ein Menü wie dieses buche, dann erwarte ich abendfüllendes Programm. Es gehört für mich auch das drum herum dazu, damit ich den Abend als gelungen in Erinnerung behalte. Wenn schon fine dining, dann bitte auch so richtig. Und das heißt für mich nicht überkandidelt, sondern wertschätzend aufmerksame Besonderheit, die ich in vergleichbaren Restaurants mehr finde.
Ich muss dazusagen, dass meine Erwartungen an den Abend sehr hoch waren. Vor kurzem hat das Estima 6 Punkte vom Gusto Gourmetführer bekommen, was einer höheren Bewertung entspricht, als die Bachstelze erhalten hat. So könnt ihr meine kritischen Punkte vielleicht etwas besser einordnen.
In jeden Fall freuen wir uns aber schon darauf, bald im Estima die Tapas auszuprobieren!
Übrigens: nächstes Jahr plant das Team eine weitere Neueröffnung mit dem Konzept einer Tapas-Bar. Wir sind gespannt!
Infos in Kürze:
Estima by Catalana
Allerheiligenstraße 3
99084 Erfurt
Öffnungszeiten: Mo – Sa ab 17.30 Uhr
- Gaumenwertung 7/10
- Gesamterlebnis 6,9/10
„Bemerkenswert, hier isst man auf sehr hohem Niveau!“
DETAILIERTE BEWERTUNG
Mira |
Flo |
Mira&Flo |
|||
Gaumen | 7,0/10 | Gaumen | 7,0/10 | Gaumen | 7,0/10 |
Getränke | 6,5/10 | Getränke | 6,5/10 | Getränke | 6,5/10 |
Atmosphäre | 6,5/10 | Atmosphäre | 7,5/10 | Atmosphäre | 7,0/10 |
Service | 6,5/10 | Service | 7,0/10 | Service | 6,8/10 |
Gesamterlebnis | 6,8/10 | Gesamterlebnis | 7,0/10 | Gesamterlebnis | 6,9/10 |
Serh toller Artikel, der Lust auf mehr macht. Vor allem auf die Tapas Bar!
Ich finde deine Beschreibungen sehr anschaulich.
Vor allem das mit dem Einmal durch die „Pfanne lecken“.
Was ich zum Beispiel richtig lecker würzig finde und mich freuen würde, wenn ich so einmal den Geschmack eines Essens beschreiben könnte: Der Geruch meiner Finger, nachdem ich die letzten Chipskrümel aus der Tüte gefischt habe – als Geschmack. Und natürlich spreche ich von Rosmarinchips. Aber der Geschmack müsste nicht unbedingt rosmarinig sein.